Untitled (Raumzeichnung), 2010, Installation view

Geo-pictura, Hilfiker Kunstprojekte, 7. Mai -3. Juli 2010

Barbara Davi, die Trägerin des Hilfiker Kunstpreises 2009, ist in den vergangenen Jahren insbesondere mit Papier-(Collagen-)Arbeiten und mit vielteiligen, aus mehreren Einzelwerken bestehenden Installationen in Erscheinung getreten. Die installativen Anordnungen kombinieren meist in der Natur vorgefundene, durch ihre spezifische Textur faszinierende und von der Künstlerin sorgfältig modifizierte Elemente mit bearbeiteten Fotodrucken und ähnlichem. Wie viele der älteren Arbeiten und frühere Werk- und Ausstellungstitel («Weltlandschaft», «Exploration» oder «Inserted Room» etwa) bezeugen die für die aktuelle Ausstellung geschaffenen Werke Barbara Davis Interesse an Räumen im weitesten Sinne. Auch der Titel der Schau, «Geo-pictura», der einem Essay der deutschen Philosophin und Künstlerin Elisabeth von Samsonow entnommen ist, spielt darauf an. Mit diesem Titel – losgelöst vom Malerei-Bezug in Samsonows Text, der sich mit der Raumkonstruktion bei Jan van Eyck beschäftigt – werden die beiden neuen Werkgruppen als eine Art von bildnerischer Landvermessung charakterisiert.
In der Ausstellung «Geo-pictura», die sich über zwei der drei Ausstellungsräume sowie die sogenannte Koje erstreckt, finden sich zwei Werkgruppen, die – so verschieden sie ihrer Materialität nach sind – doch in einigen wichtigen Aspekten miteinander korrelieren. Da sind einmal Werke in der Technik der Collage, mit der Barbara Davi schon in der prämierten Serie «Durch Afrika» (2008/2009, gezeigt in der Jahresausstellung des Zentralschweizer Kunstschaffens 2009 im Kunstmuseum Luzern) und auch in «Raum 1–10» (2009, präsentiert in der Gruppenschau «Welt im Sicht 2» im Ausstellungsraum Klingental in Basel) Bildmaterial aus alten Fotobänden bearbeitet hat. In den neuen Collagen, während und unmittelbar nach einem viermonatigen Aufenthalt in Chicago entstanden, sind es Bildvorlagen mit Ansichten des Grand Canyon und weiterer imposanter Landschaftsformationen in den USA, welche der Künstlerin als Grundlage dienen. An den teils stark vergrössert kopierten Abbildungen nimmt Barbara Davi erhebliche Modifikationen vor. Nicht nur zerlegt sie die gezeigte Landschaft dadurch, dass sie – wie noch in «Durch Afrika» und in «Raum 1–10» – vor allem einzelne geometrische Figuren aus dem bedruckten Papier schneidet, die sowohl als Flächen wie als Volumina erscheinen können. Sie zieht auch vermehrt feine, die geometrischen Körper verbindende und ergänzende «Linien» in Form von schmalen, langen Ausschnitten durch das Bild. Die Farbigkeit der Blätter, mit denen die Ausschnitte unterlegt sind, unterscheidet sich ebenfalls bedeutend von früher entstandenen Collagenserien der Künstlerin. Während die Innenansichten in «Raum 1–10» ganz in Schwarzweiss gehalten sind und in «Durch Afrika» Pastelltöne vorherrschen, sind es hier fast durchgehend leuchtende Farben, welche die zum Teil in rotes Licht getauchten, zum Teil aber auch Schwarzweiss wiedergegebenen Landschaften neu strukturieren. Etwas weiter als in den Arbeiten «Raum 1–10» geht Barbara Davi in der neuen Serie auch, was die Position und Art der Ausschnitte in Bezug auf die vom Bild vorgegebenen Formen angeht. Zwar lehnen sich die künstlich geschaffenen «Figuren» bisweilen an die Gestalt abgebildeter Felsformationen oder anderer Elemente an, doch oft zeigt sich diese Korrespondenz lediglich ansatzweise – somit entsteht der Eindruck, dass sich die Künstlerin in der Formenwahl zunehmend vom Vor-Bild emanzipiert. 
Neben den Collagen, die in ihren Kastenrahmen unmissverständlich objekthaft wirken, finden sich in der Aus­stellung vier fragile Gebilde, die Barbara Davi speziell für die Räume von Hilfiker Kunstprojekte entwickelt hat. Sie setzen sich aus Schwemmholz und dünnen bemalten Leisten, ergänzt von Metallleisten, Plexiglasplatten und Kunsstoffolie, zusammen. Mit einfachen, aber dennoch dezidiert künstlichen, in Form gebrachten Materialien hergestellt, schliessen diese Objekte nachvollziehbar ans bisherige installative Werk der Künstlerin an. Auch die doch etwas ungewöhnliche Strenge der neuen Gebilde erscheint im Kontext der Collagen durchaus konsequent. Als Raum-Zeichnung nehmen sie nicht bloss farblich auf die Gran Canyon-Bilder Bezug, sondern sie übertragen darüber hinaus die Fragestellungen der Collagen – die Themen Volumen, Fläche, Figur und Grund – in die Dreidimensionalität und eröffnen damit noch einmal andere Perspektiven. 
In den Collagen werden grandiose Landschaftsräume um die Dimension eines durch und durch imaginären Raums erweitert. Mit ganz anderen Mitteln, jedoch im gleichen ebenso subtilen wie kraftvollen Gestus, erfährt der Realraum durch die poveren Installationen eine bildhafte Erweiterung ins Möglich-Unmögliche: Die mit den Leisten markierten Linien scheinen Körper zu definieren oder vielmehr anzudeuten, deren weitere Begrenzungen vom Betrachter imaginär und aus jeder Perspektive wieder neu gebildet werden müssen.


Text: Isabel Fluri